Das Brexit Chaos und die Zukunft Großbritanniens
Am 28. März 2019 habe ich einer deutschen Tageszeitung folgendes Interview gegeben. Ich veröffentliche es hier:
Frage: Wie geht das Brexit-Drama aus?
Tuschhoff: Das weiß niemand. Es gelingt der Regierung und den Parlamentariern nicht, tragfähige Mehrheiten für eine der vorgeschlagenen Lösungen zu finden. Allerdings ist die Ablehnung mancher Optionen, wie insbesondere der Brexit ohne Austrittsabkommen, so groß, dass dieser nicht sehr wahrscheinlich ist. Deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf die Frage, ob die Abgeordneten ihre zweite Präferenz als die Lösung wählen oder, wie bisher, stur an ihrer ersten Präferenz festhalten. Eine tragfähige Mehrheit kommt nur zustande, wenn eine erhebliche Zahl von Abgeordneten von ihrer ersten Präferenz abrückt. Das war gestern nicht der Fall.
Frage: Welche Möglichkeiten haben die Briten jetzt noch?
Tuschhoff: Nach wie vor müssen sie einen Weg suchen, tragfähige Mehrheiten zustande zu bekommen. Das ist die Aufgabe bis zum 12. April. Dann läuft die genehmigte Verlängerung aus. Im Kern gibt es bis dahin die Möglichkeit, den von der Regierung May mit der EU ausgehandelten Vertrag anzunehmen. Geschieht dies nicht, so tritt Großbritannien entweder ohne Abkommen aus der EU aus, oder es muss an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen sowie um eine weitere Verlängerung der Frist nachsuchen. Dann wäre natürlich auch möglich, dass die Regierung May den ursprünglichen Antrag, aus der EU auszutreten, zurückzieht. Voraussichtlich würde May dann zurücktreten. Es würde eine neue Regierung gebildet, die wiederum mit der EU über ein Austrittsabkommen verhandelt.
Frage: Muss May in jedem Fall zurücktreten?
Tuschhoff: Es sieht sehr danach aus, dass sie an der Lösung des höchst komplexen Brexit Problems gescheitert ist. Sie verfügt über keinen Rückhalt in ihrer Partei und Fraktion mehr. Momentan kann sie sich nur noch im Amt halten, weil kein Nachfolger das angerichtete Chaos übernehmen möchte. Ihr Rücktritt wird deshalb dann kommen, wenn Großbritannien bzw. das Parlament einen Weg für die weiteren Schritte zum Brexit gefunden haben, den ein Nachfolger mit besseren Erfolgsaussichten beschreiten kann.
Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass es morgen eine Abstimmung – und ein Ergebnis – gibt?
Tuschhoff: Das kann man leider nicht sagen. Der Druck der Öffentlichkeit auf die Abgeordneten, das Brexit Drama nun endlich zu beenden, egal wie, ist offenbar noch nicht groß genug. Das ermöglicht es den Abgeordneten, sich stur zu stellen und nur auf ihrer ersten Präferenz zu beharren.
Frage: Was sagt der Abstimmungs-Krimi von gestern Abend über die Lage im Land und in der Politik aus?
Tuschhoff: Das Land, die Parteien, das Parlament und sogar die Regierung sind tief gespalten. Eigentlich wollten die Briten mit dem Brexit ihre Souveränität von der EU zurückholen. Nun zeigen sie aber ironischerweise, dass sie politisch nicht über die Fähigkeit verfügen, diese Souveränität wirksam auszuüben. Darin steckt eine wichtige allgemein geltende Lehre: Gesellschaftlich gespaltene Länder benötigen die Integration in regionale Organisationen wie die EU, um national handlungsfähig zu sein, selbst wenn es dann innenpolitisch vielfältige Kritik an den getroffenen politischen Entscheidungen gibt.